Das Paradies des Doktor Caspari by Andrea Grill

Das Paradies des Doktor Caspari by Andrea Grill

Autor:Andrea Grill
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2014-12-31T16:00:00+00:00


Ja, müsste ich wissen, weiß ich auch, eigentlich, nur so hab ich’s mir noch nie überlegt. So hab ich’s noch nie formuliert: Schmetterlinge haben kein Herz. Klingt herzlos.

Sie sind herzlos. In jeder Hinsicht. So lieb sie auch ausschauen.

Die Weichheit in ihrem Gesicht verschwindet so plötzlich, wie sie gekommen ist, macht dem Widerspruch Platz.

Wie kannst du das wissen? Fast schreit sie mich an; wäre sie keine Engländerin, würde sie schreien.

Ich sage nichts.

Dann, nach einer Pause: Ich gehe hinunter, den Wagen aufräumen, damit wir gleich fahren können, wenn du fertig bist.

Sie ersticht mich nochmals mit einem Blick und wendet sich wieder den toten Tieren zu.

Als ich mit dem Oberkörper in der offenen Autotür stecke, mit dem Kopf unter dem Lenkrad die Matte richte, zirpt mein Telefon wie eine Grillenkolonie: meine Schwester, ich habe ihr einen aparten Klingelton gegeben.

Man wartet vergeblich, dass einen jemand rettet, sage ich zu ihr, während des Wartens bringe ich meinen Wagen in Ordnung, um eine britische Studentin zu chauffieren. Und du?

Rettet wovor, du bist doch nicht in Gefahr? Ja, ja, das Schwesterlein tut ihr Bestes, mich nicht allzu ernst zu nehmen; außer den Gemüsepflanzen in ihrem Garten nimmt sie sowieso wenig ernst. Im fernen Europa. Als ich studierte, wohnte ich am Europaplatz, das hätte ich Shambhavi erzählen sollen, fällt mir ein, während ich meiner Schwester zuhöre. Am Europaplatz, laut, dröhnend; der erste Europaplatz in Europa wurde in Wien angelegt, werde ich Shambhavi auf der Fahrt erzählen, am 21. Juni 1958, du weißt, was das für ein Tag ist? Ja, richtig, Sonnenwende. Die Hinwendung Wiens zu einem friedlichen Europa verkörpert der Platz, der aus mehreren Kreuzungen besteht, brausendem Verkehr, gerahmt von Fassadenkolossen.

Ob er wirklich der erste Europaplatz ist, kann ich nicht sagen; älter als die Europaplätze Berlins, Karlsruhes und Aachens ist er.

Man wartet darauf, sage ich zu meiner Schwester, dass einen jemand von der Einsamkeit befreit, in der man sich als Wissenschaftler befindet; doch das tut keiner. Als Student stellt man sich den Alltag der Lehrenden gesellig vor, sieht sie vertraulich miteinander in der Mensa sitzen, lauscht ihnen stundenlang, wie sie vor Publikum in Büchern blättern, entwischt angenehm erleichtert den Büros, in denen sie einem im Zwiegespräch Prüfungen abnehmen, wie Geschwülste, derer man sich entledigen muss, um in den hellen Wissenschaftshimmel aufzusteigen. Man kehrt benotet nach Hause zurück; eine Not mehr in der Tasche.

Ich höre, es geht dir gut, du bist in Gesellschaft, sehr gut. Meine Schwester denkt, wenn man nicht allein ist, sei man schon in Gesellschaft. Ich verabschiede mich und sauge das Auto.

SPIEGELGLATT IST DAS MEER, und windstill ist es, das ist selten.

Sehr selten, sage ich zu Shambhavi, du hast Glück.

Du hast Glück, heute wäre ein guter Tag zum Tauchen, ich bin aber hier mit dir.

Besser gesagt, ich bin hier mit dir. Du hattest diese wahnsinnige Idee, Falter übers Meer auszustreuen, als wären sie Aschenreste.

Früher hat man geglaubt, Schmetterlinge seien die Seelen von Toten.

Woher weißt du das denn? Das weiß keiner.

Bitte – du sagst doch selber, dass ich Biologin bin.

Seit wir ins Auto gestiegen und, wie es



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